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KOLUMNE "HORSEMAN´S HERALD" - FOLGE 43
E
s gibt Augenblicke, buch-
stäblich genommen, da
hilft kein Fotoapparat
und keine Filmkamera,
um sie in ihrer Intensität
und Vehemenz festzuhalten. Allein un-
sere Sinne und unser Gedächtnis tau-
gen dazu, wahrzunehmen und zu erin-
nern, was da vor sich geht, wenn eine
Herde von vier, fünf Dutzend Pferden
quer übers Land auf einen zu jagt, leicht
wie der Wind, verspielt, kraftvoll, le-
bensfroh. Eine der wenigen Regionen in
Nordamerika, wo einem das so gut wie
jeden Tag begegnen kann, ist das dünn
besiedelteWyoming. Auf ungefähr 6.000
wilder Pferde schätzt man den Bestand
dort. Dass sie sich bis heute weitgehend
frei bewegen können, ist dem Umstand
zu verdanken, dass die meisten privaten
Landbesitzer darauf verzichten, ihr Land
einzuzäunen. Das hat sich in der Ver-
gangenheit leider etwas reduziert, weil
staatlich geförderte Viehzucht nachWei-
degrenzen verlangt. Dennoch sind die
Verhältnisse noch immer besser als in
denmeisten anderen Regionen.
Während uns Schulbücher darüber
belehren, dass diese Pferde alles andere
als „Wildpferde“ sind, sondern „nur“ die
Abkömmlinge von spanischen Import-
tieren, die einstmit den Conquistadores
den Kontinent erreichten, gibt ihr An-
blick dennoch eine gute Vorstellung da-
von, wie so ein wildes Pferdeleben aus-
sieht. Immerhin hatten sie ja viele Ge-
nerationen Zeit, sich an die neuen Le-
bensumstände zu gewöhnen. Nicht
wenige von ihnen sind zudem Nach-
kommen von Pferden, die im „Vorüber-
gehen“ wilder Herden aus ihren Kop-
peln auf Ranches herausgerissen und
von Zügel und Sattel befreit wurden.
Geschichten von Cowboys,
denen auf diese Weise ihr
Pferd abhandengekommen
war und die ihren Sattel zu
Fuß heimschleppen muss-
ten, sorgen seit langem für
Erheiterung an den Lagerfeuern.
Drei Plätze in Wyoming sind be-
sonders gut geeignet, um den frei le-
benden Herden nahe zu kommen. Da
sind einmal die Pryor Mountains na-
he der Ortschaft Lovell; dann die Süd-
westecke des Staates bei Rock Springs,
wo sich mit rund 2.500 Tieren auch die
meisten freien Pferde der hiesigen Her-
den finden; und schließlich das Wild
Horse Sanctuary auf dem Territorium
der Wind River Indian Reservation. In
den Pryor Mountains gibt es ein eige-
nes „Wild Mustang Center“ mit einem
sehr anschaulich aufgebauten Muse-
um, in demman viel über die Geschich-
te und das Leben dieser Pferde erfah-
ren kann. Dort bekommt man stets
auch aus erster Hand kundige Hin-
weise darauf, wo sich die Herden gera-
de aufhalten und wie man am besten
dort hinkommt. In Wind River wiede-
rum befindet sich ein „Visitor Center“,
das Aufschluss über das Leben der in-
dianischen Völker und Stämme mit ih-
ren Pferden und die daraus entstan-
dene Kultur gibt. Von Pferdewagen
aus sind bei Ausflügen in eine sehr se-
henswerte (und auch von vielen ande-
ren Wildtieren bevölkerte) Landschaft
möglich, bei der Begegnungen mit den
Herden stattfinden.
Es geht weit über das Können und
die Ausrüstung von (Western-)Rei-
tern „made in Europe“ hinaus, sich
mit einem eigenen Pferd auf die Suche
nach den wilden Herden zu machen.
Weshalb die Annäherung mit dem Au-
to noch immer die beste Methode ist.
Die Pilot Butte Wild Horse Scenic Lo-
op Tour führt zuverlässig durch Ge-
genden und an Orte, an denen Begeg-
nungen garantiert sind.
Es lohnt sich auf jeden Fall auch,
sich mit der Arbeit des Bureau of Land
Management (BLM) zu befassen, ei-
ne Behörde, die sich um das kümmert,
Ungezügelte Freiheit
USA/WYOMING
Gleich an mehreren Orten in Wyoming kann man Herden wilder Pferde in freier
Natur begegenen. Wir machen uns auf die Reise zu 6.000 Mustangs.
Ausritt zu
frei lebenden
Pferdeherden “
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Reiter-Kurier · April 2017