

Reiter-Kurier · Juni 2017
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RE I T ERRE I SEN
Blind navigieren muss ein Reiter
heutzutage nicht mehr. Smartphones
mit Google-Maps zeigen uns den
Chiemgau von oben und so können wir
relativ gut erkennen, wo die Feldwe-
ge hinführen. Im Waldstück zwischen
Erlstätt und Grabenstätt finden wir
so schmale Wege und
erreichen das Chiem-
seeufer: Kaum haben
wir den Pferden die
Sättel abgenommen,
marschieren sie schon
aufs Wasser zu, sie trinken, planschen
und baden. Wir sindmit zwei Seepferd-
chen unterwegs!
Das letzte Teilstück beinhaltet
noch eine Herausforderung für die
Pferde: Direkt neben der Fahrbahn
führen wir sie über eine Fußgänger-
brücke über die Tiroler Ache und gleich
danach durch eine Autobahnunterfüh-
rung. Sie trotten trotz Lärm dahin, als
ob sie nie etwas anderes getan hätten.
Brav! Nur noch ein Waldstück trennt
uns von Übersee. 30 Kilometer sind es
jetzt schon, unsere bisher längste Reit-
strecke überhaupt! Im Dorf machen
wir noch einen Schaufensterbummel
vom Pferd aus. Die Gelegenheit hat
man auch nicht alle Tage!
An Tag drei reiten wir auf ziemlich
harten Wegen durch das Chiemsee-
moos. Kilometerweit sehen wir keine
Menschenseele. Erst beim Torfbahn-
hof in Rottau kommen uns ein paar
Radfahrer entgegen, mit denen wir
kurz plaudern. „Ihr habt es nicht so an-
strengend wie wir“, rufen sie uns grin-
send zu. Das würde ich so nicht sagen,
für lange Reitstrecken
brauchen auch die Reiter
eine gute Kondition.
Prien müssen wir
weiträumig umreiten. Da-
für sind die Wege wie-
der weicher, deshalb kommen wir bis
zu unserem nächsten Ziel Rimsting
auch flott voran. Weil wir vorher Ge-
päck, Kraftfutter und Putzzeug auf un-
sere Stationen verteilt haben, müssen
wir am Sattel kaum Gepäck befestigen.
Brotzeit besorgen wir uns beimBäcker,
ÜBER DIE AUTORIN
Judith Schmidhuber ist Redakteurin
beim Reiter-Kurier, verbringt viel Zeit
im Sattel und schreibt
am liebsten gleich da-
rüber. Für diese Re-
portage hat sie einen
Wanderritt um den
Chiemsee unternom-
men.
was jedesmal für Verzögerungen sorgt:
So viele streichelnde Hände haben un-
sere zwei Rösser schon lange nicht
mehr erlebt. Und es scheint ihnen zu
gefallen. Denn nach drei Tagen und gut
75 Kilometern kommen sie erst richtig
auf den Geschmack! Und so wundert es
uns nicht, dass wir die Eggstätter Seen-
platte in Windeseile hinter uns lassen.
Hier gibt es tolle Wiesenwege, die zum
Galopp einladen! Bei Breitbrunn tref-
fen wir einen Landwirt, der uns von
seinem Bulldog aus amüsiert beobach-
tet. Wir winken ihm zu und drosseln
das Tempo, denn unser Ziel ist fast er-
reicht: das Chiemseeufer bei Seebruck.
Weil der Handyakku kurz vor Schluss
den Geist aufgegeben hat, können wir
die gesamte Strecke nur schätzen: 100
Kilometer dürften es schon gewesen
sein. Den Hafer haben sich Elvis und
Jamie jedenfalls redlich verdient! Wir
holen die Butterbrezen aus der Sattel-
tasche und genießen den Blick auf See
und Berge. Ein wunderbarer Abschluss
eines gelungenen Wanderritts. Und si-
cherlich nicht dem letzten.
Text/Fotos:
Judith Schmidhuber
Unser
Navi heißt
Google-Maps“
Im gestreckten
Galopp geht es an
den Alpen entlang
und zum Schau-
fensterbummel
durch die Chiem-
seegemeinde
Übersee.