Reiter-Kurier Juli 2019

7 Juli 2019 | setzungsvermögen verbessern können. Diese Wirkung müssen wir uns mehr bewusst machen und Körpersprache sowie taktile und verbale Kommandos gezielter einsetzen. Woraus besteht die Körperspra- che? Also worauf muss ich achten? Die Körpersprache bei der Boden- arbeit setzt sich aus Körperhaltung, Bewegung, Blickführung und Gestik zusammen. Pferde sind Weltmeister im Entschlüsseln von Körpersprache. Inso- fern muss man seine oft auch unbewus- sten Signale genau kontrollieren. Soll das Pferd zum Beispiel schneller gehen, erhöhe ich mein Tempo, schnalze mit der Zunge, berühre es mit dem Seil an der Flanke. Soll es stehen bleiben, gebe ich ein Stimmkommando und zupfe falls nötig einmal kurz am Halfter. Möchte ich es wenden, drehe ich meinen Körper, meinen Schultergürtel und blicke in die Bewegungsrichtung. Ziel ist es, die Hilfen immer weiter zu minimieren. Das Pferd soll später auf kaum sichtbare Impulse auf den Menschen reagieren. Dafür braucht es ein Gespür für den richtigen Moment. Für das Reiten hat diese Sensibilisierung für das richtige Timing und die richtige Dosierung der Hilfen große Vorteile. Dass die Bodenar- beit auch für die Ausbildung unter dem Sattel unglaublich viele Vorteile bringt, wird oft unterschätzt. Wie bauen Sie ihr Training auf? Die Basis aller Bodenarbeitsformen liegt in der geführten Bodenarbeit. Die Pferde lernen punktgenau mit dem Menschen anzutreten, anzuhalten, das Gangmaß zu vergrößern, die Gangart zu wechseln oder rückwärts zu treten. Sitzen die Grundlagen, gibt es ein sehr großes Repertoire an Übungen: Seitengänge, die Arbeit im Trab und im Galopp, sowie das Training am langen Seil. Auch Zirkuslektionen, Stangen- und Geschicklichkeitstraining gehören zur Bodenarbeit. Die Königsdisziplin ist die Freiarbeit, in der man das Pferd ohne Seil und nur mit Körpersprache und Stimmkommandos lenkt, antreibt und bremst. Dafür müssen die Grundlagen schon sehr gut sitzen. Trainer, die genau das machen, ernten Bewunderung. Kann das wirklich jeder lernen? Die Ausbildung der Pferde am Boden bis hin zur Freiarbeit ist kein Geheim- nis von sogenannten Pferdeflüsterern. Jeder kann, wenn er denn möchte, durch Training und die Berücksichti- gung bestimmter Verhaltensweisen und Grundregeln in ähnlicher Weise mit seinem Pferd umgehen. Die Basis dafür sind die natürlichen Instinkte des Pfer- des, konsequentes und faires Handeln und ein klares Trainingskonzept. Ich gehe stets von der Grundannahme aus, dass ein Pferd gerne lernt und gefallen möchte. Meine Art der Bodenarbeit geht daher gezielt auf die natürliche Neugier- de und die Lernbereitschaft der Pferde ein. Pferde sind Herdentiere und suchen Kontakt sowohl zu Artgenossen als auch zu uns Menschen. Es gibt reichlich Ausrüstungs- gegenstände für die Bodenarbeit. Was braucht man wirklich? Ich empfehle Knotenhalfter und Bodenarbeitsseil. Mit dem Knoten- halfter ist eine sehr feine und präzise Einwirkung, die sich mit höherem Aus- bildungsniveau immer mehr reduzieren lässt, möglich. Die Pferde lernen auf minimale Impulse zu reagieren ? bis hin zur Freiarbeit. Das Bodenarbeitsseil kann mit einer Länge von 3,7 Meter ganz unterschiedlich in der Hilfenge- bung eingesetzt werden und ermöglicht zudem einen fließenden Übergang zwischen verschiedenen Führpositionen und zur Arbeit am langen Seil. Meiner Erfahrung nach sind mit Knotenhalfter und Bodenarbeitsseil die Einsatzmög- lichkeiten am vielfältigsten. Wichtig ist der korrekte Sitz des Knotenhalfters. Es darf keinesfalls zu tief über dem Nasenbein sitzen. Richtwert sind zwei Fingerbreit unter dem Jochbein. Wie ist die Resonanz auf Kurse? Die Nachfrage ist ungebrochen groß. Ich gebe jede Woche vier bis fünf Kurse ? mehr geht nicht. 1000 Lehrgangsteil- nehmer sind es pro Jahr. Das sind auf der einen Seite diejenigen, die ihr Pferd turniermäßig reiten und erkennen, dass ihr Pferd durch Bodenarbeit viel moti- vierter und gelassener wird. Und dann gibt es die Pferdebesitzer, die schon im- mer demThema Bodenarbeit gegenüber offen, aber in dem vielfältigen Angebot orientierungslos waren und etwas ma- chen wollen, das sie seriös finden. Seriös ist ein gutes Stichwort: Ihre Art der Bodenarbeit möchte ich als sehr ?aufgeräumt? bezeichnen. Auch im Lehrbuch der FN haben sie sachliche Formulierungen gefun- den. Bodenarbeit haftet der Ruf an, dass es ohne Anfeuern, wildes Zungenschnalzen und Rudern mit der Gerte nicht geht. Doch das geht. Das ist die Art, in der ich seit Jahren trainiere: mit einer klaren Struktur, mit einem roten Faden, an demman sich langhangeln kann. Das gehört doch streng genommen ins Repertoire eines jeden Reiters - also zur Grundausbildung in der Reitschule. Dort werden Kinder aber in den meisten Fällen aufs gesattelte Pferd gesetzt und zur Reithalle geführt. Das ist ja die Krux. Ich habe ganz viel Idealismus, in Warendorf etwas zu be- wegen. Ausbildungsleitlinien liegen nun mal in der Hand der FN. Deswegen ist es ja so wertvoll, dass man sich dort dem Thema angenommen hat. Jetzt geht es um die Qualifikation für Trainer, wir brauchen Multiplikatoren, die die Bo- denarbeit in den Reitschulen verankern. Ich bekomme so viele Rückmeldungen, wie begeistert die Schüler sind, wie posi- tiv die Schulpferde auf die Bodenarbeit reagieren, wie sehr sich die Kommunika- tion zwischen Reitschülern und Pferden durch die Bodenarbeit verbessert hat. Nur mit solchen Erfolgsgeschichten erkennen Kritiker den Mehrwert! Es bewegt sich wirklich etwas! Halbherziges Wissen bringt allerdings gar nichts, die Trainer brauchen eine solide Ausbildung. Inwiefern halbherzig? Es gibt Ausbilder, die durchaus fragwürdig vorgehen. Horsemenship ist kein geschützter Begriff, da wird auch viel Mist verzapft ? um es mal deutlich zu sagen. Mir kommen die abenteuer- lichsten Dinge zu Ohren, wie man Bodenarbeit definitiv nicht machen sollte. Es ist dringend notwendig, dass eine Institution wie die FN da Orientie- rung bietet. Es sieht alles danach aus, dass man amThema dran bleibt, oder? Definitiv. Denn in der APO 2020 wird es das Bodenarbeitsabzeichen 2 geben. Ich mache das mittlerweile hauptberuf- lich. Hätte man mir vor fünf Jahren ge- sagt, was für eine Dynamik da entsteht, ich hätte es nicht für möglich gehalten. Die Resonanz motiviert mich. Ich sage den Trainern bei meinen Seminaren immer, ?ihr seid alle Pioniere?. Ich werde da nicht lockerlassen. www.bodenarbeit.net Interview: Judith Schmidhuber Fotos: Ralph Matzerath ?Das Training braucht einen roten Faden, an demman sich entlanghangeln kann? Dr. Claudia Münch Bodenarbeits-Trainerin

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