Reiter-Kurier August 2018

6 Reiter-Kurier · August 2018 Das Re i t er - Kur i er - I nt erv i ew Z um Aufsteigen legt sich sein Pferd hin, dann zieht er sich vom Rollstuhl in den Sattel, das Pferd steht auf und Timo Ame- ruoso reitet los. Mit Durchhaltever- mögen und Willenskraft hat es der ehemalige Springreiter wieder in den Sattel geschafft. Aber er muss- te Rückschläge verkraften und ler- nen, umzudenken. Er hinterfragte das ganze System des Reitens, er- gründete das Verhalten der Pferde und der Reiter. Dabei entwickelte der Hesse eine neue Methode, Pferde zu trainieren. In seinen Seminaren und Büchern lehrt er Reiter, ihre vierbei- nigen Partner zu verstehen. Ein Leben ohne Pferd ist möglich aber sinnlos. Stimmen Sie mir zu? Ja. Aber einfacher ( grinst ). Was macht es denn schwierig? Einen Räuber gefangen zu halten ist relativ einfach. Hunde zum Bei- spiel haben einen ähnlichen Rhyth- mus wie wir: Wir essen, wir schlafen. Ein Pferd dagegen muss von Natur aus den ganzen Tag Futter aufneh- men und in Bewegung sein. Danach ist ihr Körper aufgebaut. Aber Pferde auf der Weide müssen kein Futter su- chen, sie haben immer zu Fressen und sie bewegen sich kaum. Da kom- men wir schon zum ersten Problem: Die Atemwege sind auf Bewegung ausgelegt. Wenn wir krank sind, le- gen wir uns ins Bett, wir husten es raus. Das kann ein Pferd zum Bei- spiel gar nicht, weil es viel weniger Flimmerhärchen hat. Es braucht sie ja auch eigentlich gar nicht, weil es durch die Bewegung gar nicht krank wird. Mich erschreckt gerade, dass wir Pferde halten und eigent- lich keine Ahnung haben. Das ist ja auch der Grund, warum Sie als Coach unterwegs sind. Merken Sie, dass sich das Wissen langsam verbessert? Wir haben in Europa ein Problem, wir blicken auf eine lange Pferde- tradition zurück. Das ist Segen und Fluch zugleich, weil wir heute das Problem haben, dass sich die Rei- terwelt ganz extrem auf alte Tradi- tionen bezieht. Das hat mit Wissen- schaft, mit einem modernen Zeit- geist nichts zu tun. Das sind reine faule Ausreden. Ich bin auch Dozent an einer brasilianischen Pferde-Uni. Die blicken auf keine lange Pferde- tradition zurück. Mit denen kannst du ganz anders arbeiten. Sie hast aber auch erst mal ganz klassisch reiten gelernt. Wie alt waren Sie? Sieben. Meine Cousine hat mich ein- mal die Woche longiert, auf einem Schimmelpony namens Sandra. Ich habe ein halbes Jahr Sitzübungen gemacht, das hat mir auch als Sprin- greiter und nach meinem Unfall sehr geholfen. Dann normale klassische Reit- stunden, dann das erste Pflege- pferd, dann ein eigenes Pferd. Meine Mutter hat mich geför- dert, meine El- tern haben mir dann Pascal gekauft, mein erstes ei- genes Springpferd. Mit ihm habe ich mich zur deutschen Meisterschaft im Vierkampf qualifiziert. Das war mein größter Erfolg. Ein Jahr später hatte ich mit 17 meinen Motorradunfall. War Ihnen nach Ihrem Unfall sofort klar, dass Sie wieder aufs Pferd steigen werden? Ja das war klar. Ich war ja bei Be- wusstsein, als ich auf der Straße lag. Ich habe meinen Vater angebettelt, er möge den Pascal bitte nicht ver- kaufen. Das habe ich immer wie- der zu ihm gesagt. Ich habe zu den Ärzten und meinen Eltern auch im Krankenhaus gesagt, ihr könnt euch auf den Kopf stellen, ich werde wie- der aufs Pferd kommen. Da hat auch keiner widersprochen. Das stand ein- fach fest für mich. Kann man denn überhaupt reiten, wenn man querschnitts- gelähmt ist? Das ist ja nicht alltäglich. Kann man, wenn man weiß wie das Reiten an sich funktioniert. Ich bin am ersten Tag nach dem Kranken- haus schon wieder im Stall gewe- sen. Pascal war zu spritzig, ich bin dann auf ein Schulpferd. Erst saß je- mand hinter mir und wir ritten lange Zeit im Schritt, damit ich ein Gefühl bekomme. Nach dem ersten Trab dachte ich mir, das wird nix. Jeder Schritt war ein schmerzender Stoß in den Rücken. Aber ich wollte es un- bedingt. Es hat gedauert, bis ich das Becken wieder schwingen konnte. Wie ersetzen Sie denn die Schenkelhilfen? Gar nicht. Der springende Punkt ist: Reiten, also Schenkel- und Zügelhil- fen, ist das Überbleibsel vomMilitär. Dieses Reiten heißt nichts anderes, als ein Fluchttier auf relativ kurzem Weg unter Kontrolle zu bekom- men. Das geht nur über Schmerz. Wenn man es aus der Bewegungs- dymnamik heraus betrachtet, ist es aber ganz anders. Die Bewegung des Pferdes wird auf der Hinterhand er- zeugt, läuft über den Rücken zur Vorhand. Und wir sitzen genau da- zwischen. Wenn du deine Beine zu- machst, wird dein Becken fest und die Bewegung kann nicht von der Hinterhand zur Vorhand. Als Sprin- greiter weiß man das: Wenn man schiebt vorm Sprung, bleiben die Pferde stehen. Keine faulen Ausreden Als Pferdemediator gibt Timo Ameruoso sein Wissen über die Vierbeiner in Seminaren auf der ganzen Welt weiter. Der Rollstuhl hindert ihn daran nicht. Auch nicht am Reiten. Die Reiterwelt bezieht sich ganz extrem auf alte Traditionen. Das hat mit Wissenschaft und einem modernen Zeitgeist nichts zu tun.? Timo Ameruoso, Pferdemediator

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