Reiter-Kurier Dezember 2017

HEUGE F LÜST ER Streben nach Harmonie Dr. Hans-Walter Dörr (78) hat in der Reiterei alles gesehen und widmet sich nur noch der klassischen Reitkunst: ? Reiter müssen sich auf Grundlagen, Gefühl und Gehorsam besinnen. ? Wie sind Sie vor 60 Jahren zum Reiten gekommen? Das war nach dem Krieg, damals gab es kaum mehr Pferde. Mein Großva- ter hatte mir ein Buch über Island ge- schenkt. Die Fotos waren braun-weiß. Das Land hat mich fasziniert, ich wollte nach Island. Aber ich wusste, dass man sich dort mit demPferd fort- bewegt, also musste ich reiten lernen. Das war in Würzburg im Reitverein am Main, Herr Schemel hieß der Reit- lehrer. Ich erinnere mich noch gut an ihn und seinen militärischen Ton. Er war ein fantastischer Reitlehrer. Sei- ne Stimme schnitt Glas. Aber ich hatte das Gefühl, dass er wusste, von was er redet. Er hat mir irgendwas unter die Haut geschossen, das mich bis heute nicht losgelassen hat. Wie hat sich Ihre reiterliche Laufbahn dann entwickelt? Ich bin lang auf Schulpferden geritten. Irgendwann habe ich die Vielseitigkeit ausprobiert, damals kaufte ich mein erstes Pferd, ?Egon?, ein brauner Han- noveraner Wallach. Aber in der Vielsei- tigkeit war ich nicht lange aktiv. Woran lag?s? An meinem Beruf. Als Chirurg ist es nicht so gut, wenn man offene Hände hat, weil man vom Pferd gefallen ist. Ich war sehr früh in der Gefäßchirur- gie tätig, das hat damals in Deutsch- land niemand gekonnt. Ichmusste also da sein. Mein Chef sagte irgendwann: Entweder Sie reiten oder Sie arbeiten. Wir haben uns dann auf Dressur geei- nigt und er meinte: Wenn?s sein muss. Aber ich solle nicht runter fallen. Wie sind Sie zur klassischen Reitkunst und spanischen Pferden gekommen? Bei Freunden in der Carmague war ich oft zu Besuch, sie hatten Pferde und Stiere. Da habe ich unheimlich viel Selbstverständnis auf dem Pferd gelernt. Die Pferde müssen aus dem Stand mit voller Kraft angaloppie- ren, wenn so ein schwarzer Stier die Hörner senkt. Beim Corrida habe ich Typen gesehen, die reiten sensatio- nell. Das war reiten! Als Egon gestor- ben war, dachte ich mir, so ein spa- nisches Pferd wär?s. Heute ist es alltäglich, ein Pferd aus Spanien zu importieren. Wie lief das damals? Das war nicht so leicht. Ich habe aber einen Händler gefunden, dem habe ich gesagt, was ich mir wünsche. Der hat mir irgendwann so ein Pferd orga- nisiert. Ein bildhübscher Brauner mit ganz langer Mähne und so großen Au- gen. Er war sieben Jahre und hatte mit Menschen nix am Hut. Ich habe ihn ?Cariño? genannt, das bedeu- tet so viel wie Zuneigung. Die er- sten zwei Tage war er die Pest. Dann hat er beschlossen: Wir beide? Das geht in Ordnung. Ca- riño ist 28 Jahre alt geworden. Ich habe ihn selbst ausgebildet. Sie unterrichten seit 25 Jahren. Warum haben Sie beschlossen, ihr Wissen weiterzugeben? Ich sage in meinem Kursen immer: Nichts von dem allen ist von mir. Ich habe mein Wissen von meinen Leh- rern, ich habe darüber gelesen und nachgedacht. Eigentlich ist alles was ich unterrichte schon mal dagewesen. Meine Frau und ich, wir hatten Leh- rer von allen vier großen Schulen: Je- rez, Saumur, Lissabon und Wien. In Wien gab es den Karl Prinz von Auer- sperg, ein ganz toller Mensch. Er war ungefähr so alt wie ich jetzt, als er leicht depressiv im Reiterstüberl saß und uns erzählte, dass er es so schade fände, wenn das Wissen um die Reit- kunst verloren geht, wenn er nicht mehr ist. Er fragte mich, warum ich das nicht mache. Daraufhin habe ich beschlossen zu unterrichten. Wie oft geben Sie noch Kurse? Ich bin ja jetzt älter, jetzt geht das nicht mehr so oft. Aber es macht mir Spaß, ich mach' das gern. Bei meinem letzten Kurs gab es so viele Teilneh- mer, dass gar nicht alle unterkamen. Ich erinnere mich noch an meinen er- sten Kurs, da kamen die Damen am Sonntagabend zu mir und fragten, ob ich denn mal wieder kommen würde. Da war ich völlig platt ( lacht ). Reiten Sie noch? Jeden Tag. Ich habe zwei Hispano Lu- sos, also eine Kreuzung aus spanischen Pferden und Lusitanos, einHengst und einen Wallach. Meine Frau hat eben- falls zwei Pferde, einen Lusitano und PRE, auch ein Hengst und einWallach. Früher hatten wir nur Hengste. Warum eigentlich? Wallache sind doch im Umgang einfacher? In der Carmague habenmeine Freunde immer gesagt: Nimm einen Hengst. Bei den Stieren ist das das sichere Pferd. Die Stiere haben Angst vor den Hengsten. Und die waren toll, das ging super. Egon war noch einWallach, aber als ich auf die Iberer umgestiegen bin, wollte ich auch Hengste. Hengste sind eben richige Männer: Klare Ansage, so machen wir?s, ich bin der Chef. Wenn sie einmal eine Hierarchie haben und keine Veranlassung, daran zu zweifeln, dann denkt ein Hengst gar nicht dran, zu kämpfen. Was ist Ihr Ziel eines jeden Ritts? Das kommt drauf an. Wenn es schön Wetter ist, möchte ich mich im Sattel erholen. Wenn ich auf den Reitplatz gehe, möchte ich mein Pferd fordern. In der Reithalle noch mehr. Aber wenn ich jetzt über ihre Frage genau nach- denke, dann ist mein Ziel immer, eins zu werden mit dem Pferd. Lachen Sie nicht, es wird jetzt leicht esoterisch: Als Reiter ist man Teil eines Bewe- gungssystems. Wenn sich der Reiter 6 Reiter-Kurier · Dezember/Januar 2017/2018 Es wäre schade, wenn das Wissen umdie Reitkunst verloren geht."

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