Reiter-Kurier Oktober 2017

10 Reiter-Kurier · Oktober 2017 REPORT THEMA : AUF ZUCHT Richtiges Absetzen , gelassenes Pferdeleben Irgendwann muss ein jedes Fohlen seine Mutter verlassen. Auf den optimalen Zeitpunkt kommt es an und wie man es anstellt. D ie Entwöhnung des Fohlens von der Mut- terstute ist eine be- lastende Phase und ein Thema das häufig emotional diskutiert wird. Früher wur- den Fohlen mit sechs Monaten abge- setzt, heute gibt es auch die Praxis ei- ner möglichst späten Trennung. Mo- derne Pferdehaltung orientiert sich zu- nehmend am Vorbild der Natur, indem die Lebensbedingungen der Pferde so gut wie möglich an ihre Bedürfnisse angepasst werden. In der Natur bleibt ein Fohlen ein Jahr lang bei seiner Mutter. Während der ersten Monate ist die Bindung zwi- schen Stute und Fohlen sehr eng. In- stinktiv wissen beide, ein Fohlen allei- ne würde schnell Opfer von Raubtie- ren. Dieses Verhaltensmuster "Tren- nung bedeutet Gefahr" ist fest im genetischen Gedächtnis der Pferde ver- ankert. Bei einer plötzlichen Trennung erleidet ein Fohlen Todesangst und die Stute versucht mit allen Mitteln zu ih- rem Nachwuchs zu gelangen. Je älter das Fohlen wird, entfernt es sich all- mählich auch weiter, bleibt aber in Sicht- und Rufweite der Mutter. Die Möglichkeit, dass Pferde in ei- ner konstanten Herde über Jahre hin- weg zusammen leben, besteht nur sel- ten. Da aber auch bei unseren domes- tizierten Pferden die ursprünglichen Verlassensängste noch tief verwur- zelt sind, kann das Absetzen enormen Stress verursachen. Aufgrund einer zu plötzlichen oder zu frühen Trennung kann es beim Fohlen zu Wachstums-, Hormon- und Stoffwechselstörungen kommen, ebenso wie zu Verhaltens- auffälligkeiten (Koppen, Weben, im Kreis laufen), übermäßiger Nervosität oder Kleben an Artgenossen. Derartige Traumata können später, wenn über- haupt, nur mit sehr viel Geduld wie- der geheilt werden. Zudem gilt Stress als einer der häufigsten Verursacher von Ma- gengeschwüren. An- fällig hierfür sind oft rangniedrige Absetzer, spätgeborene, oder sol- che die durch Erkran- kungen weniger entwi- ckelt sind. Auch lange (unvorbereitete) Trans- porte gelten bei Jungpferden als Aus- löser. Die Verlustängste eines Fohlens sind nicht zu unterschätzen. Auch wenn diese nicht deutlich sichtbar sind, gibt es doch Jungpferde die in- nerlich Stress erleiden. Dies sind oft phlegmatische oder introvertierte Foh- len, die nicht zu Gefühlsausbrüchen neigen und irrtümlicherweise als be- sonders ruhig beschrieben werden. Wie eine Studie der Veterinärme- dizinischen Universität in Wien zeigt, lässt sich die Entstehung von Stress beim Absetzen jedoch nicht gänzlich vermeiden. Die Wissenschaftler un- tersuchten die Stresssymptome von Fohlen bei drei verschiedenen Ent- wöhnungsmethoden: 1. Das abrupte Entfernen aller Mutterstuten. 2. Das Entfernen aller Stuten, bis auf zwei (nicht verwandte) Stuten die von Ge- burt an in der Nähe der Fohlen wa- ren. 3. Das Entfernen von jeweils zwei Mutterstuten aus der Herde bis nur die Fohlen allein übrig blieben. Die Er- gebnisse dieser Studie werden als dra- matisch bezeichnet, denn die Konzen- tration von Stresshormonen im Spei- chel der Fohlen war sehr hoch, egal, auf welche Art die Fohlen von ihren Müt- tern getrennt wurden. Minimiert wer- den konnte jedoch der Langzeitstress: Nur die zweite Fohlengruppe, die sich in Gesellschaft bekannter Stuten be- fand, verkraftete die Trennung lang- fristig besser. Die Fohlen der anderen Gruppen brauchten deutlich länger bis sie wieder an Gewicht zunahmen und zeigten auch länger Stresssymptome wie Wiehern und Umherlaufen. Unter diesem Aspekt ist ein ab- ruptes Absetzen durchaus kritisch zu sehen, ebenso wie die langjährige Pra- Eine zu frühe Trennung kann zuWachstums-, Hormon- und Stoffwechselstörungen führen.

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