Reiter-Kurier Oktober 2019

24 Oktober 2019 | Ä lter werden gehört zum Leben. Wir neigen leider dazu, in dem Zusammenhang immer nur von Defiziten zu sprechen. Negative Begleit- erscheinungen bringt das Alter nun mal mit. Bei Pferden ist in diesem Zusam- menhang immer die Rede von Krankhei- ten, Kosten für Tierarzt und Zusatzfut- ter, vom erhöhten Pflegebedarf. Obwohl das bei jüngeren Pferden genauso zutref- fen kann. Es ist an der Zeit, klarzustel- len, dass ältere Pferde viele Vorteile mit sich bringen. Ja, Pferdesenioren können regelrecht ein Segen sein! Ein Pferd, das schon viele Jahre unterm Sattel geht, ist zum Reiten sehr ange- nehm. Gut ausgebildete Pferde stehen an den Hilfen, wissen, was sie zu tun und leisten haben. Außerdem ist es für den Besitzer auch viel vorhersehbarer: Erst mit zehn Jahren hat sich die Per- sönlichkeit des Pferdes vollständig ent- wickelt. Am Charakter ändert sich dann nichts mehr. Ältere Pferde haben in ihrem Leben schon einiges gesehen und erlebt, das bringt die Lebenserfahrung mit sich. Das trägt dazu bei, dass sie im Alter die Ruhe bewahren. Vor allem im Gelände ist das Reiten mit einem erfah- renen Pferd entspannt. Ein älteres Pferd nimmt ungewohnte Situationen deut- lich gelassener hin, es ist einfach viel mehr gewohnt, als jüngere Artgenossen. Vor allem ängstliche Reiter und Reit- anfänger sind daher mit einem älteren Pferd besser beraten: Sie verzeihen auch mal Reitfehler. Ältere Pferde haben schon so mancher Nachwuchshoffnung den Einstieg in die Turnierreiterei geebnet: Sogar Profirei- ter schicken ihre Olympiapferde nicht sofort nach dem Abschied aus dem Spit- zensport auf die Rentnerkoppel. So hat zum Beispiel Ingrid Klimke ihren FRH Butts Abraxxas an Tochter Greta über- geben, die mit ihm ihre ersten Erfolge in der Vielseitigkeit feiern konnte. Ältere Turnierpferde sind übrigens keinesfalls automatisch ?verbraucht?: Vorausge- setzt, sie wurden stets korrekt gehalten, gepflegt, geritten und sind gesund, kön- nen sie noch einige Jahre in niedrigeren Klassen mitmischen. Bei der Jungpferdeausbildung leisten äl- tere Pferde Hilfestellung von unschätz- barem Wert: Unerfahrene Pferde sind fremde Umgebungen oft nicht gewohnt, sie erschrecken leicht, manche nehmen sich ihren angeborenen Fluchtinstinkt zu häufig zu Nutze. In Begleitung eines Pferdeseniors werden junge Pferde deut- lich entspannter. Die Ruhe des älteren Tiers überträgt sich auf das jüngere. Es merkt, dass alles doch nicht so schlimm ist und lernt, neue Dinge ohne Angst an- zunehmen. Wenn der erfahrene Kumpel cool bleibt, dann ist das wohl doch alles nicht so schlimm. Auch wenn ein Pferd mit 20 Jahren nicht mehr so leistungsfähig ist, wie vielleicht mit 12 Jahren, so kann der Besitzer mit ihm noch großen Spaß haben. Ein hartnäckiger Irrglaube ist, dass das Pferd dann nicht mehr so viel Bewegung braucht. Es braucht nach wie vor etwas zu tun! Mit leichtem Training bleibt die Muskulatur erhalten, die Seh- nen bleiben elastisch und die Gelenke gut geschmiert. Außerdem braucht auch der Kopf des Pferdes Arbeit, so bleibt es mental lange jung und frisch. Prakti- scher Nebeneffekt: Der Reiter lernt die unterschiedlichsten Trainingsmöglich- keiten kennen. Schnuppert wohlmöglich dank eines Rentnerpferdes erstmals in die Bodenarbeit hinein und erkennt de- ren wachsende Bedeutung in der Pferde- ausbildung. Das führt dazu, dass er beim nächsten Pferd noch schlauer ist. Sprecht nicht über die Defizite! Werdet euch darüber klar, was für eine Menge Vorteile ihr mit einem älteren Pferd habt! PFERDESENIOREN AltePferde sindein Glücksgriff! Judith Schmidhuber stellt grundsätzlich Gegenfragen, wenn sie nach dem Alter ihrer Pferde gefragt wird judith.schmidhuber@reiterkurier.de Foto: Lena Meder / www.lenameder-fotografie.de

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