Reiter-Kurier September 2019

InwelchemStall lebte dein erstes Pferd? Mein erstes eigenes Pferd bekam ich, als ich zwölf Jahre alt war. Es lebte in einer Box mit täglichemWeidegang. Das war für die damalige Zeit schon fortschrittlich, sehr viele Pferde standen damals noch in Ständern. Was war für dich der Auslöser, umzudenken? Vor 25 Jahren kaufte ich einen Zwei- jährigen, den ich nicht in eine Box stellen wollte. Leider waren die Zustände in den meisten Offenställen damals sehr schlecht. Es gab noch kaum Forschung auf diesem Gebiet, die ersten Pioniere sammelten da gerade Erfahrung. Meist waren die Flächen zu klein für die Pferdeanzahl, die Böden unbefestigt und es gab zu wenig Futterstellen. Die Folge waren meist viele Verletzungen und Stress aufgrund von Futterneid und Platzmangel. Wegen den größten- teils unbefestigten Böden standen die Pferde unter sehr unhygienischen Bedingungen, deswegen gab es häufig Probleme mit Mauke, Strahlfäule und sehr schlechter Hufqualität. So begann ich mich damals intensiv mit Offenstall- haltung zu beschäftigen. Mir war schnell klar, dass nur bei Berücksichtigung des Pferdeverhaltens und der Bedürfnisse der Pferde eine gute Herdenhaltung möglich ist. So fuhr ich dann ein Jahr lang in Bayern alle auffindbaren Offen- ställe ab und versuchte herauszufinden, warum in dem jeweiligen Stall etwas gut oder schlecht funktionierte. Außerdem las ich natürlich alles, was an Literatur damals verfügbar war. Zugute kammir auch, dass wir seit meiner Kindheit schon Pferde bei uns hielten und aus- bildeten. Dann suchte ich mir einen Hof, auf dem ich meine Ideen verwirklichen konnte. 2001 war es dann endlich so- weit, 25 Pferde zogen ein. Vom Absetzer bis zum Senior verschiedenster Rassen sowie Stuten und Wallache ? sie bilden seither in der Pferdepension Nackenberg eine tolle Gemeinschaft. Was spricht für die Aktivstallhaltung? Inzwischen gibt es sehr viele wissen- schaftliche Untersuchungen zu den einzelnen Haltungsformen und deren Vor- und Nachteilen die eindeutig bele- gen, dass die Aktivstallhaltung von allen Haltungsformen (Box, Innenlaufstall, Offenstall, Aktivstall) den Bedürfnissen der Pferde am nächsten kommt. Warum stehen die meisten Pferde dann immer noch in Boxen? Dafür gibt es etliche Gründe: Man hält an alten Gewohnheiten fest, hat Angst vor Ungewohntem, oder Platzmangel verhindert einen Umbau, wenn z.B. der Boxenstall mitten im Ort steht. Leider waren die anfänglichen Erfahrungen mit Gruppenhaltung sehr schlecht, sodass sich bis heute Vorbehalte gegen Gruppenhaltung erhalten haben. Das ändert sich aber gerade in den letzten Jahren stark. Pferdebesitzer stellen heute höhere Ansprüche und erkennen immer mehr, dass eine gesunde Haltung ihren Pferden und damit auch ihnen zugutekommt. Tierwohl ist aktuell ein inflationär gebrauchter Begriff - vor allem imZu- sammenhangmit der Nutztierhaltung. Entspricht eine Box demTierwohl? Ganz klar nein. Die Haltung in der Box verhindert ausreichend Sozialkontakt, Bewegungsmöglichkeit, Sinnesreize, Rückzugsmöglichkeit (vor allem bei nicht-befreundeten Boxen-Nachbarn). Reine Boxenhaltung ist deshalb abzuleh- nen. Der Gesetzgeber schreibt heute vor, dass Pferde täglich mehrere Stunden die Möglichkeit haben müssen, sich in allen Gangarten frei zu bewegen. Reiten bietet ja keine freie Bewegung. Das heißt, auch eine Paddockbox entspricht diesen Vorgaben nicht. Man muss also sicher- stellen, dass jedes Pferd, das in einer Box lebt, täglich ? auch bei schlechtem Wetter ? mehrere Stunden Weidegang oder einen Tagesauslauf hat. Wobei auch ein Tagesauslauf gut oder schlecht sein kann ? gibt es Futter und Wasser? Ist er befestigt? Ermöglicht er Sozialkontakte? Ist er groß genug? Hat er Witterungs- schutz? Gibt es Pferde, die für die Laufstallhal- tung ungeeignet sind? Fast alle Pferde sind herdentauglich, aber es gibt Ausnahmen. Pferde, die ohne Sozialkontakte aufgewachsen sind, tun sich später manchmal schwer in einer Herde. Hengstige Wallache sind bisweilen ein Problem, zumindest wenn sie keine anderen Wallache neben sich dulden oder ein Aufspringen generell in dem jeweiligen Betrieb nicht geduldet wird. Leider werden immer noch fast alle Hengste in Boxen gehalten. Dabei sind viele Hengste in reiner Hengsthaltung ohne Sicht- und Geruchskontakt zu Stu- ten durchaus herdentauglich. Sie leben in freier Wildbahn auch in Junggesel- lengruppen zusammen, während reine Stutengruppen in freier Wildbahn kaum Daniela Scherzer leistete Pionierarbeit: Sie eröffnete vor 18 Jahren den ersten HIT-Aktiv- stall Bayerns. Bis heute sorgt Scherzer maßgeblich dafür, dass Pferde in Bewegung kommen ? mit modernster Technik, durch- dachter Planung und sehr viel Platz. Mittlerweile hat sie über 200 HIT-Aktivställe geplant. Im Interview erklärt die Pferde- haltungsexpertin aus Reisbach (Landkreis Dingolfing-Landau) wie ein guter Offenstall aufgebaut sein muss. Interview Daniela Scherzer, HIT-Aktivstall-Planerin ?DERTRENDGEHT EINDEUTIG ZUGUTERGRUPPENHALTUNG? 6 September 2019 |

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