Reiter-Kurier Dezember 2018

6 Reiter-Kurier · Dezember/Januar 2018/2019 das Re i t er - kur i er - I nt erv i ew Wann haben Sie die klassische Reitkunst für sich entdeckt? Ich habe in meiner Kindheit reiten ge- lernt, habe Reitabzeichen und Fahrab- zeichen gemacht, ich war auf Turnie- ren, ritt Dressur, Springen ? die gan- ze Palette. Aber ich dachte mir irgend- wann, da stimmt irgendwas nicht: Überall wurde amZügel gezerrt, es gab kahle Stellen von den Sporen. Es fehlte das Gefühl, der Respekt. Wie sind Sie darauf gekommen, dass es auch anders geht? Mein damaliger Reitlehrer hatte einen Lipizzaner, mit dem er mühelos Piaf- fen und Pirouetten ritt. Das wollte ich auch. Er sagte zu mir: ?Mädel, wenn du richtig Dressurreiten lernen willst, dann musst du nach Portu- gal. Das gibt?s bei uns gar nicht mehr.? Da war ich 15. Ich bin al- so mit meiner Mutter mehrmals nach Portugal gereist, ritt Galoppwechsel, Piaffen, Passagen. Ich hatte nichts in der Hand, das Reiten ging leicht und mühelos. Ich war dann eine Weile sehr auf portugiesische und spanische Pferde fixiert bis ich merkte, dass es gar nicht auf die Rasse ankommt, son- dern auf das Ausbildungssystem. Die Anja Beran Stiftung hat sich den Erhalt und die Verbreitung der klassischen Reitkunst zur Aufgabe gemacht. Wir kam?s zur Gründung? Das war 2009. Man hat einfach gese- hen, es liegt sehr viel im Argen in der Reiterei. Die Leute wissen aber nicht genau, woran es liegt. Die Idee hin- ter der Stiftung ist, darauf aufmerk- sam zu machen, dass es auch anders geht. Den Lehrfilm zur Blickschulung etwa, in dem mit Hilfe von Trickfil- men gezeigt wird, wie sich Pferde be- wegen sollen und wie nicht, den hat die Stiftung gesponsert. Man kann nur etwas bewirken, wenn man etwas herausbringt, anhand dessen den Rei- tern bewusst wird, dass sie etwas än- dern können und müssen. Was muss der Reiter mitbringen, um so reiten zu können? Ruhe und Geduld. Ohne Ruhe geht es gar nicht. Wenn etwas nicht funkti- oniert, muss ich stoppen und über- legen, warum es nicht funktioniert. Dann muss ich in Ruhe eine Lösung für das Problem finden, die für das Pferd auch logisch und einfach ist. Manchmal muss ich auch nachle- sen. Das macht durchaus Sinn, denn das Problem hatten auch schon Rei- ter vor mir. Wenn ich glaube, eine Lö- sung gefunden zu haben, dann kann ich in Ruhe wieder probieren. Wenn es klappt, kann ich mir überlegen, was ich noch feiner machen kann. Das frage ich mich ständig: Kann ich noch mehr Hilfen weglassen? Geht noch weniger? Leider machen auch das zu wenige Reiter. Viele sind so auf das ?Sport treiben? fixiert. Sie schwitzen und merken gar nicht, dass sie sich auf einem Lebewesen befinden und nicht auf einem Turngerät. Wenn ich mich körperlich anstrengen will, dann mach ich das beim Laufen oder Rad- fahren ? aber nicht auf dem Pferd. Da geht es um die Einheit, die Leichtig- keit: Dass der Körper, den ich bewege, mir zuhört. Wie wichtig ist Ästhetik dabei? In dem Moment, ich dem ich auf dem Pferd keinen Sport treiben, sondern fein kommunizieren will, wird es au- tomatisch ästhetisch. Wobei ich vom Pferd natürlich schon eine Leistung verlange. Das Pferd soll sich präsen- tieren aber der Reiter soll dabei in den Hintergrund rücken. Wie sieht es mit der körper- lichen Fitness des Reiters aus. Wie halten Sie sich fit? Mit Gymnastik. Aber mit gezielter, das ist sehr wichtig. Ich arbeite mit ei- ner Physiotherapeutin und Tanzleh- rerin zusammen, die auch die Koordi- nation im Blick hat und mir Aufgaben dafür stellt. Das Programmmuss spe- ziell auf den Reiter abgestimmt sein. Ich zum Beispiel bin stark, muss aber etwas für die Dehnung und Beweg- lichkeit machen. Anders herum brau- chen bewegliche Reiter vielleicht eher Übungen für die Stabilität und Kraft. Aber klar ist: Jeder Reiter muss etwas für seine Fitness tun. Sie sagen, jedes Pferd kann brillieren ? unabhängig von der Rasse. Wie motiviert man das Pferd dazu? Durch komplett überlegte Hilfenge- bung. Ich muss das Pferd fein auf die Hilfen abstimmen. Es ist eine Beloh- nung, wenn die Hilfe aussetzt. Das ist das A und O. Wenn es das Pferd gut macht, dann Zügel weg und Bein weg. Das ist die höchste Motivation fürs Pferd, sich dann zu zeigen. Wenn es in der Lernphase etwas besonders gut macht, lobe ich mit Stimme oder auch mit Leckerli. Dadurch kann es Lob mit einem bestimmten Schritt verknüpfen. So wachsen die Pferde da hinein. Dann kann ich langsam die Hilfen minimieren. Kann man jedes Pferd so trainie- ren, dass es gesund läuft? Ja. Aber ich kann zum Beispiel von einem großrahmigen Warmblut nicht verlangen, dass es genauso piaffiert wie ein Pferd mit viel kürzerem Rü- cken. Es muss leicht piaffieren ? aber in seinem Rahmen. Ich kann auch nicht Basketballspielen wie Dirk No- witzki, da fehlt mir ein Meter. Aber Nachdenken und Anja Beran widmet ihr Leben der klassischen Reitkunst. Die Ausbilderin ist bestrebt, mit weltweiten Seminaren, Lehrbüchern und -filmen eine respekt- volle und gesunderhaltende Reitweise zu verbreiten. Bei der jährlichen Fachtagung der Anja Beran Stiftung in München trafen wir sie zum Interview. Hilfengebung muss komplett überlegt sein. Lob ist die höchsteMotivation für das Pferd.? Anja Beran, Ausbilderin

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