Reiter-Kurier November 2018

Drei Fragen an... Sandra Thierauf, Reitpädagogin, Pony-Motion-Ausbilderin Kinder haben Pferde dringend nötig! I mPonykindergarten steht das Reiten lernen nicht unbedingt im Vordergrund: Kleine Kin- der profitieren von der Be- gegnung mit dem Pferd in ihrer eigenen Entwicklung ? und sie haben sie offenbar nötiger denn je: Reitpädagogin Sandra Thierauf aus Ortenburg (Landkreis Passau) unter- richtet seit 25 Jahren, bildet mittler- weile auch Reitpädagogen aus und hat ihren Unterricht der gesellschaft- lichen Veränderung angepasst. Wie hat sich der Reitunterricht seit ihrer Jugend verändert? In erster Linie haben sich die Men- schen verändert. Das stelle ich seit zehn Jahren fest, dass etwas Selt- sames vor sich geht. Die Unselbstän- digkeit der Kinder nimmt zu, viele wis- sen nichts mehr mit sich anzufangen. Sie können mit dem Smartphone um- gehen, ihnen fehlt aber die Kraft, mit dem Striegel Dreck aus dem Fell zu putzen. Dazu kommt, dass die Eltern hohe Ansprüche haben. Sie wollen ihre Kinder oft schon zum Reitunterricht schicken, sobald sie laufen können. Das ist viel zu früh, den Kindern feh- len in dem Alter Fähigkeiten, die zum Reiten und im Umgang mit dem Pferd nötig sind. Abstände einschätzen zum Beispiel. Aber durch den Wunsch der Eltern hat man zwangsweise immer jüngere und ungeschicktere Kinder im Reitunterricht. Welches Alter empfehlen Sie denn? Ich habe mich auf Reitpädagogik und Reittherapie spezialisiert, die für Kin- der ab vier Jahren geeignet ist. Es geht nicht darum, möglichst schnell und gut reiten zu lernen, sondern den spielerischen Umgang mit dem Pferd zu erleben. Man verfolgt da- bei das Ziel, die Fähigkeiten der Kin- der im Alltag zu verbessern, etwa den Gleichgewichtssinn und motorische Fähigkeiten. Die Digitalisierung ist mitunter eine Ursache für Defizite, denn auf dem Tablet wischen können sie alle. Aber wenn sie einen Stift hal- ten sollen, haben sie Probleme. Das lässt sich zum Beispiel mit der Zü- gelhaltung verbessern, da müssen sie ihre Finger koordinieren. Es gibt auch kaum ein Kind, das es aus eige- ner Kraft schafft, das Bein über den Pferderücken zu schwingen. Bei ge- führten Ausritten stelle ich immer wieder fest, dass die Kinder vorher noch nie imWald waren. Beim ganzen Umgang mit dem Pferd werden die Kinder ganz anders gefordert und das hilft ihnen in ihrer Entwicklung. Viele Kinder kommen auf Empfehlung von Frühförderstellen, Kinderärzten und Ergotherapeuten. Das heißt, die Kinder kommen gar nicht von selber auf die Idee, Reiten zu lernen? Es ist schon oft eher der Wunsch­ traum der Eltern. Die Kinder sind meistens noch gar nicht in dem Alter, dass sie sich bewusst sel- ber fürs Reiten entscheiden kön- nen. Und wenn sie dann in dem Al- ter sind, etwa ab zehn Jahren, dann haben sie zum Reiten gar keine Zeit mehr, neben Ganztagesschule, Bal- lett, Musikunterricht und so wei- ter. Ich merke schon, dass die Kin- der heutzutage unter Druck ste- hen. Wenn ich an meine Kindheit denke, da musste ich lange betteln, bis meine Eltern mir erlaubten, Reitunterricht nehmen zu dürfen. Die Kinder, die beim Reiten bleiben, das sind dann die, die eine Leiden- schaft fürs Pferd haben. ? ? www.horsehill.de Interview: Judith Schmidhuber Foto: Sandra Thierauf Die Digitalisierung ist mitunter eine Ursache für Defizite, die Kin- der an den Tag legen. Mit Reitpädagogik kann man dem ent- gegenwirken, sagt Sandra Thierauf. Re i t en l ernen Reiter-Kurier · November 2018 29

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