Reiter-Kurier August 2018

20 Reiter-Kurier · August 2018 Aufwachen imWilden Westen Romantik, Ruhe und Ranching verspricht ein Reiturlaub im Süden Arizonas J etlag nach einem Flug über den Atlantik hat manchmal auch sein Gutes: Wenn es einem am ersten Morgen danach schon um vier Uhr in der Früh aus den Federn reisst, dann ist man wenigstens dafür bereit, in aller Ruhe und Gelassenheit den Sonnenaufgang mitzuerleben ? das am meisten unterschätzte Naturereignis im Tagesverlauf. Dann stehe ich also vor meiner Casita auf der White Stalli- on Ranch im Süden Arizonas, blicke hi- nauf ins satte Blau des Nachthimmels und ahne, dass dort, wo ein erster ro- sig-oranger Schein über die Bergkante glimmt, Osten sein muss. So leise ichmich auch auf den Weg mache: Die knir- schenden Schrit- te auf dem sandigen Weg, im Kanon mit dem Zirpen der Grillen, sie klingen schier ohrenbetäubend. Doch plötz- lich durchbricht wie ein Fanfarenstoß ein weiterer Sound die nächtliche Stil- le: ?Iiii-aaaaah, iii-aaaah.? Mit einem Maultier habe ich nicht gerechnet. Genauer gesagt mit vieren davon, die neugierig auf mich zukommen, als ich mich dem Zaun nähere. Fast mit dem Tempo einer Rakete schiebt sich jetzt auch die Sonne über den Horizont. Der Blick weitet sich. Aha, nicht nur Maultiere: Ein paar Schritte weiter zupft eine ganze Herde Pferde ein paar verwaiste Grashalme aus dem Boden und leckt an salzigen Steinen. Ihre Aufmerksamkeit genie- ße ich allerdings nur für ein paar Mi- nuten. Dann lässt sich am anderen En- de der Corrals Motorengeräusch ver- nehmen und gleich danach biegt ein überdimensionierter Pickup um die Ecke. Zwei junge Leute sitzen auf der Ladefläche, Heuballen unter sich ? das Frühstück ist imAnrollen. Jetzt stürmt die ganze Herde zum Tor des Corrals. Und imHintergrund beginnt lautstark der Bettelgesang der Maultiere: ?Wa- rum zuerst diiiiiiiiie-daaaaaaaaah?? Für die menschlichen Gäste der Ranch ist der Frühstückstisch drau- ßen in der Wüste gedeckt. Alice und Steve sind mit dem Jeep vorausge- fahren, haben den Grill angeworfen und den Wasserkessel über die Feu- erstelle gehängt. Rührei, Bratkartof- feln, Bacon, Blueberry-Pancakes: Das Essen ist einfach, herzhaft und reich- lich. ?Trotzdem schmeckt?s den Leuten besser als das Buffet auf der Ranch?, schmunzelt Steve und deutet auf die kleine Karawane von Reitern, die sich durch die kakteenbestandene Wüsten- landschaft nähert. Jeans und Stiefel, karierte Hemden, Halstuch und Cow- boyhut: vom Fuß bis zum Kopf sind die Ranchgäste ganz in der Wildnis von Arizona angekommen. Ein Bild wie vor hundert oder mehr Jahren, nur wenige Kilometer Luftlinie von der Stadt Tuc- son entfernt, wo zur gleichen Zeit die Menschen ihren Caffe latte im Plastik- becher abholen. Die White Stallion Ranch, so viel sei noch hinzugefügt, ist vielleicht nicht die preisgünstigste Möglichkeit für Reiterferien in Arizona. Aber von der Umgebung her eine der reizvolls- ten, hier im ?Vorhof der Sonora?. Die lange Liste der Filme, die ? beginnend mit ?Arizona? 1939 ? hier gedreht wur- den, spricht für sich. Zudem gehört die seit über 50 Jahren ansässige Besitzer- familie zu jenen, die die Traditionen und Geschichten des Westens beson- ders wertschätzen, einschließlich der Tatsache, dass sie in ihren Ställen im- mer auch Platz für ?rescue horses? ha- ben, Pferde also, die krank oder ver- wahrlost andernorts eingesammelt werden. Der Chef des Hauses, Rus- sel True, ist ein profunder Kenner der Szene und hat mit ?Dude Ranching in Arizona? das Standard-Buch zum The- ma geschrieben. Mit etwas Glück kann man ihm, während man auf das Läu- ten der Glocke zum Abendessen war- tet, auf dem Hof begegnen und ein paar Worte wechseln. Über Arizona, das Ranching, den Westen ? und na- türlich vor allem über Pferde. ? ? www.whitestallion.com Text und Foto : Ulrich Pfaffenberger Lautstarke Begrüßung durch dieMaultiere.?

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