Reiter-Kurier Juli 2018

DAS RE I T ER - KUR I ER - I NT ERV I EW Ich spreche jetzt über die dicken Pferde. Also fehlbilanziert ( grinst ). Ich unter- scheide zwischen ein bisschen fehl- bilanziert und richtig fehlbilanziert. Von den Pferdebesitzern, die sich bei mir Hilfe holen, haben 60 Prozent viel zu dicke Pferde. Da sehe ich auch rela- tiv unschöne Bilder. Die richtig schlimmen Fälle werden sich ja gar keine Hilfe holen. Doch, wenn der Druck von außen groß genug ist, sind die auch zugäng- lich, sich Hilfe zu holen. Wenn eine Stallgemeinschaft zum Beispiel auf den Besitzer einwirkt. Und die anderen 40 Prozent? Im Pferdeernährungsbereich herrscht leider großes Fehlwissen. Es gibt auch viele unterernährte Pferde, die zu we- nig Raufutter bekommen. Die Leute haben verlernt, wie ein Pferd auszu- sehen hat. Es gibt ganze Bestände, in denen die Pferde zu schlecht ernährt sind. Aber ob ein Pferd nun Hufpro- bleme hat, Kotwasser oder Leistungs- schwäche: Am Ende des Tages lässt es sich eine Erkrankung immer auf eine Fehlbilanz oder eine Fehlbilanz auf- grund einer Gastrointestinalerkran- kung zurückführen. Ausgelöst wodurch? Versorgen ist ein Urbedürfnis des Menschen. Wenn man das nicht un- ter Kontrolle hat, wir das Pony eben barock ( grinst ). Das Problem ist aber nicht immer das Vollstopfen. Manch- mal passt das Raufutter einfach nicht zur Leistung. Ein Pferd muss rund um die Uhr Raufutter zur Verfügung ha- ben, aber Heu ad libitum ist nicht im- mer die Lösung. Mein Barockpferd hatte wieder sichtbare Rippen, nachdem ich sein Heu abgewogen hatte. Reduzieren der Futtermenge ist nicht der richtige Weg. Man muss die Appetitgrenze des Pferdes rausfinden. Wenn wir wissen, das Pferd möchte 15 Kilo fressen, von 15 Kilo Heu würde es aber dick werden, müssen wir eine Mischration zusammenstellen: zum Beispiel zwei Drittel Heu, ein Drit- tel Stroh und Gehölzfutter. Das Pferd muss immer zu tun haben und fressen können, wenn es will. Aber die Nähr- stoffbilanz dieser Ration müssen wir ganz klar runterkorrigieren. Wieso Gehölzfutter? Heu und Stroh sind nicht das einzige Raufutter für Pferde. Das sehen wir beim Ausreiten, wenn sie im Vorbei- gehen einen Zweig mitnehmen oder einen Baum anknabbern. Holz fres- sen ist ein völlig normales Fressver- halten. Pro Kilogramm Körpermas- se fressen Pferde durchaus 2 bis 4 Gramm Zweige, Blätter und Rinde. Sie spielen damit, sie befassen sich sehr intensiv damit. Gehölzfutter hat zwar wenig Kohlehydrate und wenig Eiweiß, aber je nach Jahreszeit relativ viele Spurenelemente. Gefüttert wer- den kann alles, was nicht giftig ist: Obstbäume, Birke, Hasel. Aber bitte kein Kernholz, also das harte Holz im Stamm ganz innen. Generell ist weniger zu füttern also der verkehrte Weg, ein Pferd abzuspecken? Ein Pferd darf auf keinen Fall hun- gern! Das kann es psychisch und phy- sisch gar nicht ertragen. Beim Men- schen ist das anders, wir können auch län- gere Zeit fasten, so- lange wir ausrei- chend trinken. Aber ein Pferd kann mit ei- nen Raufuttermangel gar nicht umge- hen. Aus ethischen Gründen lehne ich deshalb ab, dass man ein Pferd run- terhungert. Weil das Pferd es in keins- ter Weise versteht und der Körper gar nicht darauf ausgelegt ist. Und der Faktor Bewegung? Der ist ganz wichtig! Jeder Gang macht schlank. Neben einer Anpas- sung der Ration muss man das Pferd so bewegen, dass es abnehmen kann. Da wird viel zu viel im Galopp gear- beitet! Abspecken tut man das Pferd im Schritt und Trab, nicht im Galopp. Welche Rolle spielt die Haltung? Je mehr ein Pferd sich frei bewegen kann, umso besser. So gut ich das finde, dass Pferde draußen gehalten werden: Es gibt eine Kehrseite der Medaille. Wir dürfen nicht verges- sen, dass wir eine Spezies so veredelt haben, dass sie mit einem Wildtier überhaupt nichts mehr zu tun hat. Wir haben heute Warmblüter, die oh- ne menschliches Zutun nicht überle- bensfähig wären. Manche wären allei- ne aus Heu nicht zu ernähren. Da bin ich Realist ? auch wenn ich alle Pferde lieber in einem Offenstallsystem se- hen würde. Die Haltung muss zum Pferd passen und sinnvoll sein. Das Pferd muss sich so viel wie möglich bewegen können aber auch Schutz finden, wenn es den braucht. Wie finde ich heraus, was sinnvoll ist? Wie groß ist die Fläche, wie groß ist der Bewegungsanreiz, was habe ich für ein Pferd, wie hat es bisher gelebt: Das sind die wesentlichen Fragen. Da- bei ist die Flächenbegrenzung ein Pro- blem. Denn häufig gibt es nicht aus- reichend Platz für Pferde. Die Richt- linien zur Gruppenhaltung reichen auch nicht aus. In Deutschland rech- net man daher mindestens 100 Qua- dratmeter pro Pferd. Bei fünf Pferden wären es 500 Quadratmeter. Das ist nicht artgerecht, das ist zu eng. Wie halten Sie Ihre Pferde? Im Offenstall. Sie haben bei mir in der Eifel einen dreiviertel Hektar Flä- che für zwei Kleinpferde und ein Shet- landpony. Dazu kommt die Weideflä- che. Im letzten Winter habe ich sie aber erstmals nachts reingeholt, we- gen des unfassbar vielen Regens. Sie waren sehr müde, verloren an Sub- stanz, sie sahen alle drei nicht mehr gut aus. Ich musste auf die Umstän- de eingehen und eine Entscheidung treffen. Deshalb ist es mir ist wichtig, dass Stallsysteme gebaut werden, wo man auf solche Eventualitäten reagie- ren kann. Sie sehen so viele Missstände. Wird es Ihnen manchmal zu viel? Aus der Nummer komm ich nicht mehr raus ( grinst ). Mir macht es viel Freude weil ich viele Menschen treffe, die eben auch gerne lernen und sich weiterbilden wollen. Das ist mein Motor. Es ist ja nicht alles schlecht, aber es gibt noch viel zu tun. Der Be- reich der Pferdefütterung entwickelt sich ständig weiter. Ich bin ständig am Puls der Forschung. Das ist auf- wendig und anstrengend aber das ist genau das was ich möchte. ? ? www.futterberatung-roehm.de Interview: Judith Schmidhuber/ Foto: Constanze Röhm Reiter-Kurier · Juli 2018 7 Holz fressen ist völlig normal.? Constanze Röhm, Futterberaterin

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