Reiter-Kurier Mai 2018

D er Pferdeflüsterer hat 1998 Reiter in Scharen ins Kino gelockt. Alle wollten sehen, wie Ro- bert Redfords Filmfigur einem traumatisierten Pferd und sei- ner Teenager-Besitzerin zu neuem Le- bensmut verhilft. Ein ruhiger Kerl, der nicht viel redet und doch so viel bei Pferden erreicht. Damals glaubte man eher an Zauberei, als an das Kön- nen eines Einzelnen. 20 Jahre später steht außer Frage: Pferdebesitzer wol- len nicht nur reiten. Sie wollen mit ih- rem Pferd ein vertrautes Verhältnis, in dem der eine den anderen versteht ? ohne Worte. Buck Brannaman, der als Vorlage für Robert Redfords Filmfigur diente, ist einer der vielen amerikanischen Trainer, die gewaltfreie Kommunikati- on in einer den Tieren verständlichen Körpersprache verbreitet haben. Mitt- lerweile gibt es eine Vielzahl an "Pfer- deflüsterern", welche die Sprache der Pferde verbreiten. Dabei ist Natu- ral Horsemanship kein Voodoo, kein mystischer Hype, sondern beruht rein auf Logik und dem Verständnis für das Fluchttier Pferd. Die Entwicklungsgeschichte des Pferdes dauert bereits 60 Millio- nen Jahre; Verhaltensweisen haben sich in der Zeit nicht geändert. Das Pferd versucht immer noch zu über- leben, indem es wachsam ist, schnell reagiert und sich wenn nötig auch zu wehren weiß. Der Herdenverband bietet ihm den nötigen Schutz. Alles Dinge, die sich Pferdehalter aneignen und sich zu nutzen machen können. ?Das Pferd muss wissen, dass wir für Sicherheit sorgen?, sagt Buck Bran- naman. Er vergleicht das Reiten mit einem Löwenangriff: ?Sie springen auf ihren Rücken und töten das Pferd nor- malerweise. Und genau das soll uns das Pferd erlauben. Das verlangt viel Vertrau- en. Aber erstaunlicherwei- se wird es uns das erlauben. Und zwar ohne dass wir ihm wehtun.? Der Mensch kann im Rahmen sys­ tematischer Bodenarbeit lernen, das eigene Verhalten dem Pferd gegen- über eindeutig, verständlich und be- stimmt zu gestalten. Das Pferd spricht nicht, es teilt uns seinen Gemütszu- stand durch Haltung und Bewegung mit. Sind Hals und Kopf weit oben, angespannt und die Nüstern gebläht, ist es aufgeregt, sieht wohlmöglich in der Ferne etwas, was im Unbehagen bereitet: Es ist auf Flucht eingestellt. Jetzt auf Kuschelkurs zu gehen, wäre der verkehrte Zeitpunkt. Gut möglich, dass es sich aus dem Staub machen möchte und den Menschen dabei ein- fach umstößt. Stattdessen helfen be- ruhigende Worte und Ablenkung, bis es sich wieder sicher fühlt. Das Gegen- teil ist der hängende Kopf und ein an- gewinkeltes Hinterbein: Damit zeigt ein Pferd, dass es tiefenentspannt ist und sich sicher fühlt. Auch die Ohren sind ein guter In- dikator für die Gefühlslage: Sie sind unabhängig voneinander um 180 Grad beweglich und richten sich im- mer nach Geräuschen aus. Und das können oft ganz andere interessante Dinge sein als die Führperson, die ge- rade vor dem Pferd steht. Der Klassi- ker: die nach hinten angelegten Oh- ren (wie im Foto oben). Sie bedeu- ten so viel wie: ?Du nervst, geh weg.? Pferde sehen zwar vergleichsweise schlecht, dennoch lässt sich Erregung und Angst auch ihren Augen ablesen, wenn der weiße Teil des Auges zu se- hen ist. Wichtig ist, den Gesamteindruck zu erfassen und bewerten. Eine Kom- bination aus abgewendetem Blick, ge- Geh weg, du nervst! 12 Reiter-Kurier · Mai 2018 Horsemanship bedeutet, Pferde zu verstehen. Ein entspanntes Miteinander zwischen Pferd und Reiter erfordert Wissen über die Grundbegriffe der Pferdesprache. Das Pferd muss wissen, dass wir für Sicherheit sorgen." Buck Brannaman, Pferdetrainer

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