Reiter-Kurier März 2018

Das Re i t er - Kur i er - I nt erv i ew Was Pferdehalter oft abhält, ist die Annahme, dass (Turnier-) Pferde in Herden einer größeren Verletzungsgefahr ausgesetzt sind. Sind sie's? Nein. Es passiert viel schneller et- was, wenn ein Pferd aus der Box kommt, noch kalt ist und dann drau- ßen herumtobt. Was man völlig ver- nachlässigt ist, dass es sehr viele Boxenkrankheiten gibt, die aber gar nicht mit Boxenhaltung in Zusam- menhang gebracht werden. Zum Beispiel? Koliken. Wir haben im Offenstall fast gar keine Koliken. Aber in den Boxen kommen Verstopfungskoliken öfters vor. Das wird aber so nicht gesehen. Wenn ein Pferd in der Herde spielt und eine Schramme bekommt, ist die Of- fenstallhaltung schuld. Wenn ein Pferd eine Kolik hat heißt es, "so ein Pech". Die FN gibt pro Pferd eine Fläche von zwei Mal Stockmaß im Quadrat vor. Was halten Sie von dieser Vorgabe? Naja, in der Pferdehaltung gibt es im- mer Kompromisse. Aber das ist kein guter Kompromiss. Das ist einfach nicht artgerecht. Ab wann darf man denn tatsäch- lich von artgerechter Haltung sprechen? In einem Unterstand mit Matschpaddock davor wird sich das Pferd auch nicht viel bewegen. Und Bewegung ist ja Sinn und Zweck. Es gibt leider auch viele schlecht ge- machte Offenställe. Das darf man ein- fach nicht übersehen. Das Problem ist meist folgendes: In freier Natur kön- nen sich Pferde aus dem Weg gehen ? und sie können sich die Herde aussu- chen. Im Offenstall mache ich ja einen Zaun drum rum, das heißt, ich nehme ihnen diese Ausweichmöglichkeit weg. Das ist für viele Pferde echt Stress. Dann kann so ein Offenstall eine schlechtere Lösung sein als eine Box. Gibt es eine maximale Größe für eine Pferdeherde? Das hängt von den Bedingungen ab. Es gibt ja gut funktionierende Aktiv- ställe mit 50 Pferden. Wenn die Anla- ge auf so viele Pferde ausgelegt ist, ist das kein Problem. Schwierig wird es, wenn sich die Pferde nicht aus dem Weg gehen können, wenn es zu we- nige Fress- oder Liegeplätze gibt. Ich persönlich habe lieber kleinere Her- den mit 10 bis 15 Pferden. Dann kann man die Bedürfnisse besser abdecken. Manche Pferde sind leichtfuttrig oder schwerfuttrig, brauchen mehr oder weniger Weide. Und die Einsteller kommen besser damit klar . Macht die Unterteilung in Wallache und Stuten Sinn? Hengstige Wallache kommen bei uns in reine Wallach-Gruppen. Wir haben aber keine reinen Stutengruppen, die gibt es in der Natur ja auch nicht. Wir haben das ausprobiert, da hat man deutlich gesehen, dass sich Stuten alleine nicht wohl fühlen, das war ein richtiges Rumgezicke. Dann kam der erste Wallach dazu, dann hat sich die Herde entspannt. Sie beraten Stallbetreiber bei der Planung ihrer Anlagen. Welcher ist der wichtigste Punkt? Es liegt unheimlich viel an der Auf- teilung. Man kann auch auf kleinen Flächen für die Pferde etwas schö- nes machen. Wenn es irgendwie geht, versuche ich, dass die Pferde ins Run- de laufen. Unterstände plant der Mensch immer am Rand eines Pad- docks, dabei machen sie in der Mitte viel mehr Sinn. Damit haben Pferde einen Windschutz von allen Seiten und können sich ausweichen, weil sie immer um ihre Hütte herum lau- fen können. Schwierig wird es, wenn ein bestehender Stall ungünstig oder in einer Sackgasse liegt. Den werden die Pferde nicht nutzen, weil die Aus- weichvarianten so schlecht sind. Flächenverbrauch wird ein immer bedeutenderes Thema. Ist artgerechte Pferdehaltung eigentlich noch überall möglich? Es ist schon ein Problem, aber große Flächen sind nicht unbedingt nötig. Früher hatten die Weideflächen ei- ne große Bedeutung. Da standen die Pferde nachts in der Box und tagsü- ber draußen. Wenn man einen guten Offenstall hat, in dem es regelmä- ßig Heu gibt und in dem die Pferde viel Bewegung haben, dann ist es nicht so schlimm, wenn die Pferde nur eine kleinere Weide haben. Für die Lebensqualität der Pferde ist das nicht so eine große Einschränkung. (Weiter auf Seite 8) Dr. Tanja Romanazzi hat auf ihrer Reitan- lage Gut Heinrichshof (bei Dresden) ver- schiedene Offenstall- systeme eingerichtet und testet unentwegt Verbesserungsmög- lichkeiten, von denen Pferd und Besitzer profitieren. Reiter-Kurier · März 2018 7

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