Reiter-Kurier Dezember 2017

RUBR I K 34 Reiter-Kurier · Dezember/Januar 2017/2018 Viel Zeit und kleine Schritte V orwiegend weibliche Men- schenmengen stehen in der Regel an einem Sonntag- morgen nicht vor dem Circus Kro- ne. Wenn Anja Beran einlädt, ist das anders. ?So viele Besucher wie noch nie?, wird schon vor dem Einlass er- zählt. Jeder möchte möglichst weit vorne sitzen, um sich von der Aus- bilderin so viel wie möglich abschau- en zu können. Was die Besucher der Fachtagung zwar nicht zu sehen be- kommen ist Hilfengebung, die ist bei Beran und ihrem Team praktisch un- sichtbar. Dafür ist die Harmonie spür- bar, die zwischen Pferden und Reite- rinnen herrscht: Wer bis dato noch nicht wusste, was Reitkunst ist, be- kommt sie auf dem zwölf Meter Zirkel im Kronebau zu sehen. Dabei gibt es am Anfang erst mal gar keine Pferde zu sehen. Anja Be- ran referiert mit Unterstützung der Tierärztin und Osteopathin Elisa- beth Albescu zunächst eine Stunde über Jungpferdeausbildung. Sie ver- weisen immer wieder darauf, dass es unerlässlich sei, dem Pferd ein gutes Gefühl zu geben und schlechte Erfah- rungen tunlichst zu vermeiden. ?Das ist das A und O. Man muss negative Beeinflussung ausschalten.? Sie spre- chen über die Bedeutung der Huf- und Zahnkontrolle und der Wachstumsfu- gen, die beim Pferd erst zwischen vier und sechs Jahren geschlossen sind: Dabei macht Beran angesichts Reit- pferdeprüfungen und Auktionen für fertig ausgebildete Dreijährige un- missverständlich deutlich, dass viele Pferde zu früh zu stark belastet wer- den. ?Man muss sich überlegen, was man dem Pferd damit antut.? Sie spricht von Überbeinen, Fesselträ- gerschäden, Stresskoliken, Magenge- schwüren und auf den Besucherrän- gen ist es mucksmäu- schenstill: Die gängige Praxis ist jedem klar. Bereitern, die Jung- pferde im Schnell- durchgang in Form bringen und verkau- fen wollen, fehlt für Rücksichtnahme die Zeit. Zeit ist auch in der Pferdeausbildung Geld. Eher unwahrscheinlich, dass diejeni- gen, die den Vortrag hören sollten, bei der Fachtagung anwesend sind. Im Gegensatz zur gängigen Praxis geht die klassische Reitlehre wesent- lich langsamer und schonender von- statten und legt den Schwerpunkt auf die Gesunderhaltung des Pferdes bis ins hohe Alter. In der Manege geht es weiter über den Aufbau des Trainings, über des- sen Beginn man bei jedem Pferd indi- viduell entscheiden müsse. ?Sich Zeit zu nehmen ist das Allerwichtigste?, fordert Beran. Etwa drei Monate seien nötig, um ein Pferd schonend an Ge- biss und Sattel zu gewöhnen. Dann geht es um den Aufbau der Muskula- tur, die Stärkung der Sehnen und Bän- der und auch um die Psyche: Das Pferd dürfe nicht überfordert werden, es müsse zu einer Persönlichkeit heran- reifen, so Beran. Mit viel Zeit und klei- nen Schritten bekomme man dafür ein motiviertes Pferd, das Höchstlei- stungen liefern kann. ?Ich sehe viele Pferde, die den Mensch durch man- gelnde Basisarbeit nicht verstehen. Das Vertrauen erwächst von selbst, wenn das Pferd meine Sprache ver- steht.? Ob man ein Jungpferd selbst ausbilden könne, lautet eine Frage. ?Jeder muss sich selbst hinterfragen: Kann ich sicherstellen, dass das Pferd keine schlechte Erfahrung macht?, antwortet Beran und erntet nickende Gesichter. Sie sagt, der Reiter müsse routiniert und unerschrocken sein ? und leicht. Berans Team besteht aus- schließlich aus zierlichen Reiterinnen. Dann kommt das erste Pferd in die Manege. Der Araberhengst ist in der ungewohnten Umgebung nervös, die Reiterin führt ihn zunächst eini- ge Runden und der Schimmel beru- higt sich. ?Wäre sie hereingeritten, hätte sie ihm nur unnötig in die Zügel greifen müssen?, lobt Beran die Vorge- hensweise. In den nächsten Stunden Die 8. Fachtagung der Anja Beran Stiftung im Münchner Circus Krone ruft ins Bewusstsein, dass in der Reiterei mehr Ruhe und Verständnis von Nöten ist. Vertrauen erwächst von selbst, wenn das Pferd meine Sprache versteht.? Anja Beran, klassische Ausbilderin HALTUNG · P F L EGE · GESUNDHE I T

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