Reiter-Kurier Oktober 2017

J edes Pferd kann barhuf laufen. Schön wär's! Das Wildpferd muss bei dieser Behauptung stets für ei- nen Vergleich herhalten. Ein Fohlen kommt ohne Hufschutz auf die Welt und kann problemlos über alle Böden laufen. Warum das so ist, hat Jamie Jackson in jüngster Ver- gangenheit publik gemacht: Der Be- gründer des Haltungskonzepts ?Pad- dock Paradise? (auch ?Paddock Trail? genannt), möchte Pferdebesitzer dazu bewegen, in der modernen Pferdehal- tung die Natur nachzuahmen: Futter und Wasser liegen möglichst weit von- einander entfernt. Die Pferde müs- sen sich auf einem Rundlauf über ver- schiedene Böden wie Kies, Schotter, Gras und Sand bewegen. Ein Abhär- teprogramm, denn ein Barhuf stellt sich auf den Untergrund ein, auf dem er sich bewegt. Jackson beobachtete in der Wildnis Fohlen, die gleich nach der Geburt mit der Herde mitlaufen. Die Grundlage für die Hufgesundheit wird demnach in den ersten Lebens- stunden gelegt. Unterschiedliche Bö- den härten die winzigen Fohlenhufe ab und prägen sie ein Leben lang. Unsere Pferde le- ben anders: Schon Fohlen kommen auf die Welt und stehen dann in einer weich eingestreuten Box oder auf der Wei- de, statt mit der Herde über Stock und Stein zu laufen. Es gibt jedoch Reiter, deren Pferde problemlos auf jedem Boden barhuf laufen. Das schaffen sie, weil sie Fütterung, Gesundheitszu- stand und Haltungsbedingungen op- timieren. Und da liegt die Krux: Man muss wissen, wie das geht. Hufgesundheit hat immer mit dem ganzen Pferd zu tun. Wer meint, es reicht, die Form des Horns zu kor- rigieren, ist auf demHolzweg. Mit Op- tik erreicht man keine Funktionalität. Auf das Innere kommt es an. Der Huf nimmt im Herzkreislaufsystem eine wichtige Rolle ein; mit jedem Schritt, hilft er dem Herz, das Blut durch den Körper zu pumpen. Gut beobachten lässt sich das in einer Zeitlupenauf- nahme: Sie zeigt, wie sich der Barhuf weitet, wenn er den Boden berührt und die Körperlast aufnimmt. Der Strahl mit seiner gummiartigen Kon- sistenz macht es möglich, Uneben- heiten auszugleichen, ohne dass Seh- nen und Gelenke Schaden nehmen. Bewegung regt das Hornwachs- tum an. Zu viel Abrieb ist beim Bar- huf selten das Problem. Meist sind die Bearbeitungsintervalle zu lang. Sechs Wochen sehen die meisten Hufexper- ten als geeignet an, sonst werden die Zehen zu lang, Fehlstellungen sind die Folge ? was eine Belastung für die Sehnen darstellt. Oft sind nach einem sechswöchigem Intervall nur minima- le Korrekturen mit Hufmesser und -feile nötig, damit der Huf seine kor- rekte Form hält. Im Idealfall pendeln sich Wachstum und Abrieb ein ? eben wie beim Wildpferd, das ohne Hufbe- arbeitung auskommt. Seine Hufe sind kurz, kompakt, hart und mit einem breiten Strahl. Der Gesundheitszustand lässt sich oft am Huf ablesen. Stoffwechselpro- bleme sind heutzutage weit verbreitet, weil die Pferde falsch und zu viel gefüt- tert werden, deshalb zu dick sind und gleichzeitig zu wenig Bewegung haben. Rillen in der Hufwand sind ein Beleg für ein Defizit im Stoffwechsel. Eine verbreiterte weiße Li- nie ? die Verbindung von der Hufaußenwand zum Knochen ? weißt auf Entzündungen hin, die oft Reheschübe aus- lösen; manchmal kaum sichtbar, machmal sehr deutlich. Dann läuft das Pferd fühlig ? oder gar nicht mehr. Ein schlechter Hufzu- stand kann sehr schnell dazu führen, dass der Huf ein Leben lang die Folgen davon tragen muss. Mit diesem Wissen und einer professionellen Barhufbearbeitung könnten Pferde problemlos barhuf laufen. Voraussetzung ist pferde­ gerechte Fütterung, Haltung auf ver- schiedenen Böden und viel Bewegung. Belastungsphasen ? etwa beim Ausrei- ten ? lassen sich dann durch temporä- ren Hufschutz ( Seite 26 ) überbrücken. Wer sein Pferd auf barhuf umstellen möchte, wird Geduld und Hufschuhe brauchen, bis der Huf sich regene- riert hat. Dann kann ein Pferdeleben barhuf funktionieren. Nicht genau- so, aber zumindest ähnlich wie beim Wildpferd. Text/Fotos: Judith Schmidhuber Mehr Wissen über Hufe Das ?Lehrbuch zur klassischen Barhuf- bearbeitung? war ursprünglich für Tier- ärzte und angehende Barhufpfleger ge- dacht. ?Aber ich habe festgestellt, dass sich immer mehr Pferdebesitzer Fach- wissen über Hufe aneignen wollen?, sagt Rosi Schnitzenbaumer. Der Barhufbear- beiterin und Pferdeosteopathin aus Bad Feilnbach (Landkreis Rosenheim) ist es gelungen, ihr umfangreiches Wissen in verständlicher Sprache zusammenzufas- sen. Sechs Jahre lang hat sie ihr Werk perfektioniert. Sie holt weit aus, erklärt von Anatomie bis Zahnheilkunde sämt- liche Bereiche, über die auch ein Huf- experte Bescheid wissen muss. ?Man darf nicht glauben, als Hufbearbeiter den Rest vom Pferd nicht anschauen zu müssen.? In aller Ausführlichkeit erklärt sie ihre Herangehensweise bei der Huf- bearbeitung, die Umstellung auf Barhuf und Hufschutzmaßnahmen. Umfang- reiche Bebilderung macht das Lehrbuch zu einem guten Nachschlagewerk. Als Ersatz für eine Ausbildung darf man es keinesfalls sehen, das betont auch die Autorin. Aber wer sich umfassend über Hufe informieren möchte, für den dürfte das Buch ein Segen sein. ?Lehrbuch zur klassischen Hufbearbei- tung?, Rosi Schnitzenbaumer, 346 Sei- ten, Angelika Graf Verlag, 79 Euro ? ? www.hufbalance.de Einflüsse durch Fütterung, Haltung und Bewegung? T I T E LTHEMA : HUF E Reiter-Kurier · Oktober 2017 23

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